SRU-Vorsitzender empfiehlt Kohleausstieg
ZEIT-Interview mit Prof. Martin Faulstich „Raus aus der Kohle“
Datum 24.04.2014
Die Energiewende wackelt, wenn die Regierung keinen nationalen Alleingang wagt. Ein Gespräch mit Prof. Martin Faulstich, dem Vorsitzenden des Sachverständigenrates für Umweltfragen
DIE ZEIT:
Herr Faulstich, ist die Energiewende gescheitert?
Martin Faulstich:
Gescheitert ist sie nicht. Aber es wäre gut, wenn sie schneller und stringenter vorangetrieben würde. Trotzdem bin ich davon überzeugt: Das Projekt lebt und das ist gut so.
ZEIT:
Momentan läuft das Vorhaben aber regelrecht aus dem Ruder. An der Börse wird der Strom billiger, zu Hause an der Steckdose wird er teurer und während mehr grüner Strom erzeugt wird, steigt der Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid. Das versteht kein Mensch.
Martin Faulstich:
Deshalb fühlen wir uns als Sachverständigenrat auch in der Pflicht, für Aufklärung zu sorgen. Zum Beispiel mit dem Hinweis, dass wir jedes Jahr für fast 100 Milliarden Euro Kohle, Öl und Gas importieren, während die Umlage für die erneuerbaren Energien nur rund 22 Milliarden Euro beträgt. Diese 22 Milliarden sorgen aber für Aufregung, während die viel größere Summe für die Importe mehr oder weniger stillschweigend zur Kenntnis genommen wird. Das ist schwer verständlich.
ZEIT:
Die Kosten der Grünstromförderung würden womöglich für weniger Debatten sorgen, wenn Deutschlands CO₂ Ausstoß wenigstens sinken würde. Er steigt aber wieder, jetzt schon im zweiten Jahr nacheinander.
Martin Faulstich:
Das stimmt leider. Und es liegt daran, dass bei der Stromerzeugung vergleichsweise klimaverträgliches Erdgas durch Braunkohle verdrängt wird. Im vergangenen Jahr sind in Deutschland so viele Kilowattstunden aus Braunkohle erzeugt worden wie seit 20 Jahren nicht. Deshalb steigt der Ausstoß. Das ist Energiewende paradox.
ZEIT:
Bedroht das den gesellschaftlichen Konsens darüber, dass die Energiewende richtig und wichtig ist?
Martin Faulstich:
Dieser Konsens ist tatsächlich bedroht, weil die Ursachen für die paradoxen Entwicklungen nicht sofort einsichtig sind. Es reicht eben nicht, sich nur um den Ausbau der Erzeugung erneuerbaren Stroms zu kümmern, die Politik muss mit gleichem Einsatz auch dafür sorgen, dass wir weniger Kohle für die Stromerzeugung verwenden. Wer das versäumt, vollzieht nur die halbe Energiewende.
ZEIT:
Bis 2020 will die Bundesregierung den CO₂ Ausstoß gegenüber 1990 um mindestens 40 Prozent vermindern. Kann sie dieses Ziel noch erreichen ohne Kohleausstieg?
Martin Faulstich:
Da lauert eine echte Gefahr. Wenn das 40 Prozent Ziel erreicht werden soll, muss die Regierung sich endlich auch beherzt um Klimaschutz beim Verkehr, bei den Gebäuden und bei der Industrie kümmern, sie muss bei der Stromerzeugung weg von der alleinigen Fixierung auf die erneuerbaren Energien. Wenn sie nicht bald anfängt, den Kohleausstieg zu organisieren, dann wird aus dem Klimaschutz nichts, dann wackelt die Energiewende.
ZEIT:
Den Ausstoß von Kohlekraftwerken reguliert allerdings kein deutsches Gesetz, sondern der europäische Emissionshandel
Martin Faulstich:
der zurzeit nahezu wirkungslos ist. Der Ausstoß von einer Tonne Kohlendioxid kostet fast nichts, gerade einmal rund fünf Euro. Das ist der zentrale Grund dafür, dass Kohlestrom klimaverträglicheren Strom aus Gaskraftwerken verdrängt. Und es ist der Grund dafür, dass der Klimafrevel wächst.
ZEIT:
Also gehört der Emissionshandel reformiert. Das können allerdings nur die Europäer gemeinsam tun, nicht die Deutschen allein.
Martin Faulstich:
Das eine oder andere Mal hat Berlin ja durchaus gezeigt, im Positiven wie im Negativen, was Politiker der größten Volkswirtschaft Europas in Brüssel erreichen können, wenn sie nur wollen. Deutschland könnte durchaus, gemeinsam mit anderen Ländern, ein ambitioniertes Klimaschutzziel anstreben, also 50 Prozent Reduktion bis 2030. Das könnte auch dem Emissionshandel wieder Schwung verleihen. Aber ehrlich gesagt: Selbst dann sähe ich kaum Chancen, dass der Emissionshandel alleine wirklich die Energieerzeugung lenkt. Dafür müssten die Preise für den CO₂ Ausstoß um ein Vielfaches steigen. Nur dann wird die Kohle, bei der besonders viel Kohlendioxid frei wird, aus dem Strommix herausgedrängt. Dafür brauchte man aber in der EU Mehrheiten, die einfach nicht da sind. Die Hoffnung, man könnte sich alleine auf den Emissionshandel verlassen, ist deshalb trügerisch.
ZEIT:
Was sollte die Berliner Regierung tun?
Martin Faulstich:
Eine nationale Vorleistung für die europäische Klimapolitik wäre durchaus denkbar. Großbritannien macht das gerade vor; dort gilt seit einem Jahr ein nationaler Mindestpreis für Kohlendioxid. Ähnlich könnten wir in Deutschland vorgehen. Alternativ könnte man den Kraftwerken verordnen, beim CO₂ Ausstoß strenge Grenzwerte einzuhalten. Auch ein Klimaschutzplan, in dem steht, wie viele Emissionen sich die Kraftwerksbetreiber in den nächsten Jahrzehnten leisten dürfen, wäre eine Option. Ich sage nicht, dass ich eine nationale Lösung favorisiere. Aber es ist nicht so, dass wir handlungsunfähig sind, wenn die europäische Lösung ausfällt.
ZEIT:
Der Widerstand gegen einen nationalen Alleingang wäre immens. Erfahrungsgemäß würde die heimische Wirtschaft sofort mit dem Verlust von Arbeitsplätzen drohen.
Martin Faulstich:
Ich habe einen anderen Eindruck. Bei der deutschen mittelständischen Industrie ist die Botschaft angekommen, dass Klimaschutz und Energieeffizienz den Geschäften dienlich sind. Viele wissen, dass derjenige die Nase vorn hat, der die Signale hoher Energiepreise nutzt. Inzwischen grassiert sogar eher die Angst davor, dass die Energiewende wieder begraben wird und nicht davor, dass sie ambitioniert weitergeführt wird.
ZEIT:
Ambitioniert heißt, raus aus der Kohle?
Martin Faulstich:
Ganz klar, raus aus der Kohle.
ZEIT:
Kann es sich eine Industrienation wie Deutschland leisten, sowohl aus der Atomenergie auszusteigen als auch aus der Kohle?
Martin Faulstich:
Und ob. Es geht schließlich nicht um einen Ausstieg Knall auf Fall, sondern über einen längeren Zeitraum
ZEIT:
Welchen Zeitraum?
Martin Faulstich:
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat sich vor einigen Jahren dafür ausgesprochen, alle Kohlekraftwerke maximal 35 Jahre laufen zu lassen. Dann wäre der Ausstieg Anfang der 2040er Jahre erreicht. Weil Kohlekraftwerke über einen Zeitraum von 25 Jahren abgeschrieben werden, könnten selbst ganz neue Meiler bis dahin vom Netz genommen werden. Dauerte alles ein paar Jahre länger, wäre das zwar nicht schön, aber es wäre keine Katastrophe.
ZEIT:
2040, das klingt nicht sehr ambitioniert.
Martin Faulstich:
Diese Jahreszahl markiert den Zeitpunkt, an dem das letzte Kohlekraftwerk abgestellt werden sollte. Die meisten könnten schon in den nächsten 15, 20 Jahren vom Netz gehen. Dafür braucht man einen Plan wie beim Atomausstieg oder wie bei der Rückführung der Subventionen für den deutschen Steinkohlenbergbau. Für den Kohleausstieg sollte die Politik deshalb jetzt einen Pakt schmieden, gemeinsam mit Unternehmen und Gewerkschaften.
ZEIT:
Die Betreiber der Kraftwerke haben unbefristete Betriebsgenehmigungen. Was sollte sie zu einem Ausstiegspakt mit der Politik veranlassen?
Martin Faulstich:
Sie bekämen ökonomisch kalkulierbare Rahmenbedingungen, also mehr Planungssicherheit und das Versprechen der Politik, dass sie nicht mit politisch Unwägbarem behelligt werden. Das ist der Deal, der den Konsens möglich macht.
ZEIT:
Glauben Sie im Ernst, dass sich die Landes regierungen der Kohleländer Nordrhein Westfalen, Brandenburg, Sachsen und Sachsen Anhalt auf einen solchen Deal einlassen?
Martin Faulstich:
Es geht um einen gestalteten und damit auch sozialverträglichen Strukturwandel. Davon werden sich auch die Kohleländer überzeugen lassen.
ZEIT:
Und die Bundesregierung? Im Koalitionsvertrag steht, die Kohlenutzung sei "auf absehbare Zeit unverzichtbar".
Martin Faulstich:
Absehbar, der Begriff ist natürlich weit interpretierbar. Nötig ist jedenfalls ein konkreter Zeitkorridor.
ZEIT:
Von dem die Regierung nichts wissen will.
Martin Faulstich:
Bisher will sie das nicht. Wenn sie den Klimaschutz wirklich ernst nimmt, dann kommt sie aber am Kohleausstieg nicht vorbei.
Das Gespräch führte FRITZ VORHOLZ
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