Information zum Sondergutachten "Konzepte einer dauerhaft umweltgerechten Nutzung ländlicher Räume"
Datum 08.03.1996
Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen übergab der Bundesregierung am 8. März 1996 das Sondergutachten "Konzepte einer dauerhaft umweltgerechten Nutzung ländlicher Räume". Ausgehend von der europäischen Agrarpolitik, die der Umweltrat bereits in seinem Umweltgutachten 1994 detailliert betrachtet hat, werden zunächst die instrumentellen Erfordernisse für eine zukünftige Landnutzung in den Politikbereichen Raumordnung, Naturschutz sowie Agrar- und Forstwirtschaft eingehender diskutiert. Der Umweltrat stellt dann schwerpunktmäßig das ökonomische Instrumentarium in den Vordergrund und fordert, fortan ökologische Leistungen zu honorieren und den Finanzausgleich stärker auf Umweltbelange abzustellen.
Umorientierung zu einer dauerhaft umweltgerechten Landnutzung
Wesentliche Ansatzpunkte für eine dauerhaft umweltgerechte Landnutzung ergeben sich aus der Sicht des Umweltrates vor allem im Bereich der Raumordnungspolitik, der Regionalpolitik, insbesondere auf EU-Ebene, der raumbezogenen Naturschutzpolitik und der Agrarpolitik. Unter den anreizorientierten Instrumenten im Bereich der Agrarumweltpolitik wird der Honorierung ökologischer Leistungen für die Zukunft besondere Bedeutung beizumessen sein. Des weiteren muß eine ökologisch orientierte Erweiterung des Finanzausgleichs diskutiert werden. Eine Politik für eine dauerhaft umweltgerechte Landnutzung sollte in stärkerem Maße an den marktwirtschaftlichen Strukturen und Rahmenbedingungen selbst anknüpfen und entsprechend marktwirtschaftliche Anreiz- und Sanktionssysteme einsetzen.
Land- und Forstwirte müssen für Umweltleistungen honoriert werden
Bisher wurde durch die Landwirtschaft insbesondere das biotische Ertragspotential und somit einseitig das Produktionsziel gefördert. Die ökologischen Leistungen wurden gar nicht oder nur wenig honoriert. Land- und Forstwirtschaft können nach Ansicht des Umweltrates aber je nach Standort und sonstigen Umständen folgende ökologische Leistungen erbringen:
- Erhaltung der Arten und der genetischen Vielfalt von Flora und Fauna,
- Sicherung und Entwicklung der Vielfalt, Eigenart und Schönheit der (insbesondere historisch gewachsenen) Kulturlandschaften,
- Sicherung der Erholungs- und Erlebnisfunktion der Landschaft,
- Schutz-, Filter-, Retentions- und Reinigungswirkungen für Wasser, Boden und Luft,
- Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Wasserhaushalts, insbesondere hinsichtlich der Grundwasserneubildung, des geordneten Oberflächenabflusses und der Wasserqualität,
- klimatischer Ausgleich,
- Erosionsschutz durch Grünlandbewirtschaftung oder Bewaldung,
- CO2-Senkenfunktion durch Anreicherung organischer Substanz und Biomasse-Zuwachs.
Für eine Umsetzung des Instrumentes der Honorierung ökologischer Leistungen im Sinne einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung empfiehlt der Umweltrat folgendes Maßnahmenpaket:
- Für eine verläßliche und umsetzbare Grenzziehung zwischen unentgeltlich einzufordernder Rücksichtnahme der Landnutzer auf natürliche Ressourcen und entgeltwürdigen ökologischen Leistungen müssen Kriterien entwickelt werden, z. B. in Form möglichst spezifischer Positiv- und Negativlisten.
- Kurzfristige Verträge müssen aus ökologischen und betriebswirtschaftlichen Gründen durch langfristige Vereinbarungen ersetzt werden, die den Betrieben langfristige Festlegungen erlauben.
- Die handlungsorientierte Entgeltung ökologischer Leistungen sollte schrittweise durch die leistungsorientierte Bezahlung ersetzt werden. Durch Ermöglichung von Renteneinkommen aus ökologischen Werten werden dabei Anreize gesetzt.
- Bei der Festlegung von Honorierungen müssen einerseits regionale und örtliche Instanzen und Vereinigungen, wie zum Beispiel Landschaftspflegeverbände, einbezogen werden, um Ortskenntnis verfügbar zu machen. Andererseits gilt es, übergeordnete Honorierungstatbestände auf EU- und Bundesebene festzulegen.
- Die Abgeltung ökologischer Leistungen muß mit räumlichen Planungsinstrumenten auf regionaler und örtlicher Ebene, wie u. a. Landschaftsplänen, agrarstrukturellen Vorplanungen, informellen Landnutzungskonzeptionen der Agrarverwaltung und dergleichen verknüpft werden.
- Zumindest ein Teil der bestehenden Agrarfördermittel auf EU- und nationaler Ebene sollte kurz- bis mittelfristig in Entgelte für ökologische Leistungen umgewidmet werden. Langfristig sind ökologische Leistungen durch direkte Inanspruchnahme der Zahlungsbereitschaft auf unterschiedlichen Wegen zu finanzieren.
- Auch in der Forstwirtschaft müssen ökologische und Erholungsleistungen entgolten werden.
Langfristig den Finanzausgleich auf Umweltaufgaben ausrichten
Als ersten Schritt zu einem umfassenden interregionalen Lastenausgleich schlägt der Umweltrat als zentrales Element neuer Anreizstrukturen einen ökologisch erweiterten Finanzausgleich vor, der neben den klassischen Kompensationsmechanismen für die sozioökonomischen Leistungen zentraler Orte auch die oben genannten Umweltfunktionen der ländlichen Räume berücksichtigt. Damit eine Erweiterung subsidiärer Handlungsspielräume auf der Kommunalebene für eine dauerhaft umweltgerechte Landnutzung möglichst ergebnisorientiert genutzt wird, bedarf es gezielter Anreize für diese politische Entscheidungsebene. Der Vorschlag eines ökologisch erweiterten Finanzausgleichs sollte in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit Fachvertretern aus den Finanzwissenschaften, den Planungswissenschaften und ökologischen Disziplinen weiter vertieft und konkretisiert werden.
Wer soll die notwendigen Veränderungen initiieren?
Die erforderlichen Veränderungen zur Umsetzung einer dauerhaft umweltgerechten Landnutzung setzen eine Reform der gemeinsamen Agrarpolitik und der EU-Regionalpolitik voraus. Im übrigen geht es um Aufgaben, die nach der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung, aber auch aus praktischen Gesichtspunkten nur arbeitsteilig von Bund und Ländern in Angriff genommen werden können, bei denen jedoch dem Bund eine besondere Verantwortung zukommt. Für die Raumordnungspolitik und die raumbezogene Naturschutzpolitik besitzt der Bund eine Rahmenkompetenz und sollte die im Gutachten diskutierten Veränderungen nach Ansicht des Umweltrates in Gang setzen. Die Agrarpolitik kann der Bund gestalten, wobei allerdings für die Agrarumweltpolitik in den Bereichen Naturschutz und Wasserhaushalt nur eine Rahmenkompetenz besteht. Die Regionalpolitik ist grundsätzlich Ländersache, jedoch hat der Bund im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben regionale Wirtschaftsstruktur und Agrarstruktur Mitwirkungsbefugnisse. Insbesondere können die betreffenden Bundesgesetze allgemeine Grundsätze für die Erfüllung der Gemeinschaftsaufgaben vorsehen, und es ist eine gemeinsame Rahmenplanung einzurichten. Danach dürfte nur eine Anreicherung des Finanzausgleichs durch Umweltelemente völlig außerhalb der bundesrechtlichen Einflußmöglichkeit liegen.
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