Der Umweltrat feiert sein 25jähriges Bestehen
Umweltschutz – das Stiefkind der Politik?
Datum 07.03.1997
Mit einem Symposium über Stationen, Leistungen, Anforderungen und Erfahrungen wissenschaftlicher Politikberatung für die Umwelt beging das Umweltministerium das Jubiläum des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen. Am 12. März 1997 auf dem Petersberg in Königswinter bei
Bonn zogen ehemalige und derzeitige Mitglieder des Rates, Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Politik sowie Medienvertreter kritisch Bilanz. Das unabhängige Experten-Gremium war zwecks periodischer Begutachtung der Umweltsituation mit Einrichtungserlaß vom 28. Dezember 1971 von Bundesinnenminister Genscher ins Leben gerufen worden. Am 19. April 1972 konstituierte sich der Rat, seine erste ordentliche Sitzung fand am 19. Mai 1972 statt. Nachdem im Gefolge der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl das Umweltministerium 1986 eingerichtet wurde, übernahm dieses die Zuständigkeit für den Umweltrat.
Bis 1990 fanden die Sitzungen des ursprünglich 12köpfigen Gremiums – mit allen Vor- und Nachteilen – in Anwesenheit von Vertretern der im damaligen Kabinettsausschuß für Umweltfragen vertretenen Ministerien statt. Vorteilhaft war der regelmäßige Austausch über laufende Vorhaben, von Nachteil jedoch der damit verbundene große Zeitaufwand und durchaus nicht auszuschließende Einflußnahmen. Für die intensive inhaltliche Arbeit mußte auf informelle Arbeitsgruppensitzungen ausgewichen werden.
Mit seinem ersten Sondergutachten "Auto und Umwelt", im Oktober 1973 an Innenminister Genscher übergeben, sprach der Umweltrat sofort ein sensibles Thema an. Die Wogen schlugen hoch, so wie 21 Jahre später, als im Umweltgutachten 1994 eine erhebliche Mineralölsteuer-Erhöhung gefordert wurde. Die ebenfalls vorgeschlagene Differenzierung der Kfz-Steuer nach Schadstoffemissionen wird übrigens jetzt umgesetzt.
Zuvor hatte der Rat sich bereits in Stellungnahmen zum Umweltstatistikgesetz und zum Bundes-Immissionsschutzgesetz an die Regierung gewandt. Das erste umfassende Umweltgutachten erschien 1974, nach einem Sondergutachten zur Abwasserabgabe, deren Behandlung aufgrund der damaligen politischen Diskussion dringend geboten war. Verschiedene, von der Regierung angeforderte Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben und Sonderthemen (u.a. "Umweltprobleme des Rheins") beschäftigten den Umweltrat derart, daß das zweite umfassende Gutachten erst 1978, das dritte gar erst 1987 erschien. Danach legten die Wissenschaftler eine Reihe viel beachteter Sondergutachten – zu Fragestellungen wie Altlasten, Abfallwirtschaft und Allgemeine Ökologische Umweltbeobachtung – vor.
Umweltminister Töpfer verkleinerte per Erlaß vom August 1990 die Mitgliederzahl des Umweltrates. Seither gehören ihm nur noch sieben statt zwölf Experten an. Mit dem neuen Erlaß wurde eine periodische Umweltbegutachtung im Zweijahres-Turnus festgeschrieben. Ferner wurde die Unabhängigkeit des Gremiums gestärkt. Eine regelmäßige Teilnahme der verschiedenen Ressortvertreter an den Sitzungen des Rates war aus Gründen der Unabhängigkeit und Effektivierung einer wissenschaftlichen Politikberatung nicht mehr obligatorisch. Im Verlaufe der Erarbeitung eines Gutachtens werden jedoch die betroffenen Ministerien angehört. Darüber hinaus erfolgen stetige fachliche Abstimmungen zwischen den Fachressorts in den Ministerien und der Geschäftsstelle des Umweltrates.
Die konstituierende Sitzung des Rates in seiner neuen Form fand am 31. Januar 1992 statt. Der Umweltrat hat sich in der Folgezeit, insbesondere in den zwei umfassenden Umweltgutachten 1994 und 1996 intensiv mit der Ausgestaltung der Konzeption des "sustainable development" (dauerhaft umweltgerechte Entwicklung) befaßt. Daneben wurden zwei Sondergutachten (Altlasten II und Konzepte einer dauerhaft umweltgerechten Nutzung ländlicher Räume) vorgelegt. Gleichzeitig hat sich der Rat stärker nach außen geöffnet, kommuniziert über Publikationen in Fachorganen intensiver mit der Fachöffentlichkeit, veranstaltet eigene Anhörungen und wendet sich über die Presse stärker an die interessierte Öffentlichkeit.
Wurden die Umwelt- und Sondergutachten des Beratungsgremiums schon immer von Politikern und Fachöffentlichkeit ausgewertet und diskutiert,
so konnte die Breitenwirkung der Ratsarbeit durch das zunehmende Interesse der Umweltverbände und engagierter Laien noch intensiviert werden. Auch die Kontakte zu vergleichbaren Gremien im Ausland wurden verstärkt. Angesichts der zunehmenden Notwendigkeit koordinierter europäischer Umweltschutzmaßnahmen finden regelmäßige Treffen der Umwelträte der EU-Mitgliedstaaten statt. Der deutsche Umweltrat beteiligt sich hier federführend an der Etablierung eines regelmäßigen Austausches.
Viele Empfehlungen des Rates sind inzwischen umgesetzt, andere brauchen länger um zu wirken. So ist beispielsweise der vom Umweltrat im Gutachten von 1978 vorgeschlagene parlamentarische Umweltausschuß heute schon eine Selbstverständlichkeit. Das Abwasserabgabengesetz geht zurück auf Empfehlungen des Umweltrates. Die Großfeuerungsanlagenverordnung beruht auf dem Sondergutachten "Waldschäden und Luftverunreinigungen". Der Bodensee ist heute sauber – nicht zuletzt, weil der Umweltrat mit seinen Begutachtungen der Belastungen der Oberflächengewässer (Sondergutachten "Umweltprobleme des Rheins" und "Umweltprobleme der Nordsee") die Dringlichkeit von Maßnahmen des Gewässerschutzes vorgeführt hat.Lösungsansätze für die Altlastenproblematik gehen maßgeblich auf die Sondergutachten des Umweltrates zurück. Es gibt aber viele Bereiche, in denen es dem Umweltrat zwar gelungen ist, Probleme in das Zentrum der umweltpolitischen Diskussion zu rücken, Lösungen allerdings erst in einem langsamen Prozeß heranreifen. Man denke an die Abfallwirtschaft oder die Luftverunreinigung in Innenräumen – Problemstellungen, zu denen der Rat jeweils Sondergutachten vorgelegt hat. Auch die Umweltprobleme der Landwirtschaft hat der Umweltrat schon frühzeitig und wiederholt thematisiert. Sicherlich werden Fragestellungen wie Düngemittel- und Pflanzenschutzmitteleinträge heute von der Umweltpolitik im Zusammenhang mit Fragen des Boden- und
Gewässerschutzes angegangen. Jedoch muß der Umweltrat recht ohnmächtig zusehen, daß das Bundesbodenschutzgesetz noch immer nicht alle
politischen Hürden genommen hat und der Landwirtschaft mit den sogenannten Landwirtschaftsklauseln weiterhin ungerechtfertigte Sonderrechte zugestanden werden.
Daß in der Umweltpolitik gerade unter den gegenwärtigen, schwierigen Rahmenbedingungen ein langer Atem nötig ist, ist den Mitgliedern des Umweltrates sehr bewußt. Diesen werden sie auch in den kommenden 25 Jahren unter Beweis stellen. Der Umweltrat wird auch zukünftig als Anwalt der Umwelt auftreten und dabei der Politik ein kooperativer, aber nicht immer bequemer Partner sein, der seine Aufgabe weniger in Beiträgen zur Tagespolitik als in der Thematisierung langfristiger und komplexer Umweltprobleme sieht.
Die Vorträge der Tagung wurden von Frau Bundesministerin Dr. Angela Merkel (Hrsg.) in dem folgenden Band dokumentiert: Wissenschaftliche
Politikberatung für die Umwelt. Stationen, Leistungen, Anforderungen und Erfahrungen. Symposium aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Rates
von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU) am 12. März 1997. Hrsg. v. Angela Merkel. Mit einem Grußwort des Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl.
Berlin: Analytica, 1997. 92 Seiten – ISBN 3-929342-27-8, Br 29,50 DM unverbindlich (Angewandte Umweltforschung Bd. 7)
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