Umweltpolitik aus der Krisenfalle befreien und neue Wege gehen
Datum 27.02.1998
Umweltpolitik aus der Krisenfalle befreien und neue Wege gehen (1)
Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen überreichte der Bundesregierung am 27. Februar 1998 in Bonn sein neuestes Umweltgutachten. Es steht unter dem Titel: "Umweltschutz: Erreichtes sichern – Neue Wege gehen". Damit ist zunächst der Hinweis gemeint, daß die Umweltpolitik als langfristig vorsorgende Politik auch in Krisenzeiten weiter vorangetrieben werden muß. Für neue Wege plädiert der Umweltrat u. a. bei der Gestaltung künftiger Zielfindungsprozesse, des internationalen Handels, der Tourismus- und Freizeitpolitik, der Rahmenbedingungen für die Risikobewertung bei der Freisetzung gentechnisch veränderter landwirtschaftlicher Nutzpflanzen und zu guter Letzt bei der Umgestaltung der Abfallwirtschaftspolitik.
Umweltpolitische Ziele systematisch und im gesellschaftlichen Konsens festlegen / Der Umweltrat macht einen Verfahrensvorschlag
Der umweltpolitische Alltag mit seinen tagespolitischen Konflikten ist eher ernüchternd. Stärker strategisch und auf lange Handlungszeiträume ausgerichtete Vorgehensweisen sind untypisch für das politische Handeln. Der Umweltrat betont in diesem Zusammenhang noch einmal, daß gerade die Ausgestaltung und die Umsetzung der Leitlinien einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung eines besonders langen Atems bedürfen. Der Umweltrat hat die gegenwärtige Diskussion um den Prozeß der umweltpolitischen Zielfindung analysiert und bewertet. Daraus wurde die Notwendigkeit deutlich, Mindestanforderungen an ein einheitliches Verfahrensschema zur Ableitung, Formulierung und Festlegung von Umweltqualitäts- und Umwelthandlungszielen aufzustellen. In einem vom Umweltrat vorgeschlagenen mehrstufigen Verfahrensmodell werden dabei auch die jeweiligen Zuständigkeiten einzelner Akteure aufgezeigt. Initiator des Verfahrens sollte das Bundesumweltministerium sein, da die Entscheidung darüber, ob und für welche Bereiche Umweltqualitäts- und Umwelthandlungsziele festgelegt werden sollen, eine Entscheidung der politischen Exekutive ist. Die Aktivitäten müssen dort koordiniert und letztlich auch umgesetzt werden. Die Exekutive darf trotz ihrer zum Teil auf Moderation des Verfahrens beschränkten Funktion nicht aus der politischen Verantwortung entlassen werden.
Umweltschutz darf nicht durch wirtschaftlichen Druck aufgeweicht werden.
Wie die Politik insgesamt, ist auch die Umweltpolitik derzeit durch Reformstaus gekennzeichnet. Das schon lange überfällige Bundes-Bodenschutzgesetz ist erst nach langem Ringen und mit vielen Kompromissen verabschiedet worden. Aber selbst ein Scheitern von Gesetzesvorhaben darf nach Ansicht des Umweltrates nicht dazu führen, daß an ihrer Stelle beispielsweise Selbstverpflichtungen zum zentralen Instrument der Umweltpolitik werden. Wegen erheblicher ordnungspolitischer Bedenken und Bewertungsprobleme erscheint dem Umweltrat ein eher vorsichtiger, restriktiver Einsatz von Selbstverpflichtungen geboten. Die derzeitige wirtschaftliche Lage erlaubt anscheinend nur noch eine Umweltpolitik, die möglichst geringe Kosten verursacht ("Low-budget"-Umweltpolitik). Auch wenn im Sinne einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung gleichermaßen ökologische, ökonomische und soziale Belange zu berücksichtigen sind, darf der Umweltschutz nicht mit Hinweis auf die Wirtschaftslage abgebaut werden. Das Argument, anspruchsvolle Umweltstandards würden den Wirtschaftsstandort Deutschland schwächen, ist nicht zu belegen. Der Umweltrat betont noch einmal, daß eine dauerhaft umweltgerechte Entwicklung nur über stetige Reformen zu erreichen ist. Er macht gleichzeitig Vorschläge zur Steigerung der Effizienz der Umweltpolitik, um deren Kosten zu senken.
Umweltschutzbelange als Leitplanke im internationalen Handel fest verankern
In besonderem Maße ist die Umweltpolitik durch die zunehmende wirtschaftliche Internationalisierung (Globalisierung) in die Defensive geraten. Dem Umweltrat erscheint dagegen die Bekämpfung weltweiter Armut im Sinne des Leitbildes dauerhaft umweltgerechter Entwicklung nur durch die Beteiligung der Entwicklungsländer am freien Welthandel möglich. Umweltpolitisch motivierte Handelssanktionen sollten deshalb nur dann zulässig sein, wenn Schäden an grenzüberschreitenden oder gemeinsam geschützten Umweltgütern und Ressourcen sowie Verstöße gegen internationale Umweltschutz- oder Menschenrechtsabkommen seitens des jeweiligen Exportlands abgewehrt werden sollen. Der Umweltrat empfiehlt eine entsprechende Fortschreibung des GATT unter Umweltaspekten. Die Klimakonferenz der Vereinten Nationen im Dezember 1997 in Kyoto hat einmal mehr deutlich gemacht, wie schwer es ist, international (Minimal-)Konsense bei Umweltzielen herzustellen, sobald diese bindend werden sollen. Dennoch sieht der Umweltrat keine Alternative als die Fortsetzung entsprechender Bemühungen. Sobald deutliche Mehrheiten der von den Reduzierungspflichten betroffenen Staaten erreicht sind, müssen nach Ansicht des Umweltrates hartnäckige Trittbrettfahrer internationaler in Umweltvereinbarungen mit Außenhandelssanktionen belegt werden können.
Tourismus und Freizeitverhalten den Umweltanforderungen anpassen
Der Umweltrat begrüßt die Bestrebungen im Wirtschaftszweig Freizeit und Tourismus nach internationalen Vereinheitlichungen, die einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung entsprechen. Gerade weil Umweltbeeinträchtigungen durch Freizeitaktivitäten eher schleichend und oft erst langfristig erkennbar sind, erfordert dies Lösungsansätze, die nicht von kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen geleitet sind. Die deutsche Tourismusindustrie sollte ihre starke Marktposition als Beitrag zu einer umweltgerechten Tourismusentwicklung und Internationalisierung anspruchsvoller Umweltstandards nutzen.
Beim Einsatz der Gentechnik müssen Risiken und Nutzen sachlich gegeneinander abgewogen werden.
Die Problematisierung der Gentechnik darf sich nicht allein auf das Klonen von Tieren oder gar Menschen beschränken. Vielmehr sind die ökologischen Risiken sowie die etwaigen Nutzen z. B. in der Landwirtschaft ebenfalls zu erwägen. Der Umweltrat möchte die derzeit sehr emotional geführte Diskussion wissenschaftlich versachlichen und eine Grundlage für die umweltpolitische Entscheidungsfindung schaffen. Es soll mehr Transparenz in Fragen der Gentechnik geschaffen werden. Die gezielte Konstruktion eines gentechnisch veränderten Organismus im Labor stellt einen Vorgang dar, der im Rahmen einer natürlichen Evolution höchstwahrscheinlich nie abgelaufen wäre. Derzeit gibt es jedoch keine gesicherten Hinweise darauf, daß gentechnisch veränderten landwirtschaftlichen Nutzpflanzen per se eine besondere und herausragende Beeinflussung der Evolution zuzuschreiben sei. Der Umweltrat hält alles in allem die – ohne Zweifel vorhandenen – Risiken der Gentechnik, die mit der breiten Einführung gentechnisch veränderter Nutzpflanzen in der Landwirtschaft verbunden sind, für tragbar. Besondere Schäden, die bei land- und forstwirtschaftlicher Nutzung wesentlich über das übliche Maß hinausgehen, sind beim gegenwärtigen Stand von Freisetzung und Anbau nicht zu erwarten. Dennoch hält der Umweltrat ein dem heutigen Wissensstand angepaßtes Bündel von Maßnahmen für erforderlich, um die unterschiedliche Risikoqualität der gentechnischen Eingriffe auch künftig angemessen bewerten und mögliche langfristige Auswirkungen des kommerziellen Einsatzes der Gentechnik auf Mensch und Umwelt erkennen zu können. Der Zustand der relativen Unbedenklichkeit könnte sich schon bald ändern, wenn in Zukunft Fremdgene eingesetzt werden, die mehr umweltrelevante Eigenschaften aufweisen und ein Überleben unter extremen Umweltbedingungen wie Hitze, Kälte, Trockenheit, Nährstoffmangel oder Salzstreß ermöglichen. Gesondert bewertet werden müssen gentechnisch veränderte Lebensmittel. Grundsätzlich findet ein Zulassungsverfahren statt, in dem der Hersteller den Nachweis für die Unbedenklichkeit erbringen muß. Gentechnisch veränderte Lebensmittel sind zu kennzeichnen. Es bestehen allerdings zur Zeit erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich der Feststellung und Bewertung des Vorhandenseins gentechnischer Veränderungen, insbesondere der substantiellen Gleichwertigkeit von gentechnisch im Vergleich zu konventionell hergestellten Lebensmitteln. Deshalb wird vielfach nur ein pragmatisches Vorgehen bei der Kennzeichnung möglich sein. Nach Auffassung des Umweltrates muß beim Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Lebensmittel eine umfassende Verbraucherinformation gewährleistet sein, die volle Transparenz herstellt. Sie ist vor allem dadurch gerechtfertigt, daß es sich bei den Risiken der Gentechnik um neuartige Risiken handelt, bei denen Bewertungsirrtümer nie völlig ausgeschlossen werden können. Der Umweltrat bedauert, daß es keine Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Zusatzstoffe, Aromen und Enzyme gibt.
Die Abfallwirtschaftspolitik hinkt neuesten Erkenntnissen hinterher und muß zukünftig stärker auf das Marktgeschehen ausgerichtet sein.
Nach wie vor kann nach Ansicht des Umweltrates von einem konsistenten abfallwirtschaftlichen Gesamtkonzept keine Rede sein. Zentrale Fragen der Abfallwirtschaft bleiben auch nach Inkrafttreten des Kreislaufwirtschafts-/Abfallgesetzes offen. In diesem Zusammenhang bewertet der Umweltrat nicht nur die jüngsten Entwicklungen in der Abfallwirtschaft, sondern schlägt auch langfristig anzustrebende Änderungen vor. Dazu entwickelt der Umweltrat konzeptionelle Vorstellungen für eine künftige, stärker marktorientierte Abfallwirtschaft. Umfang und Intensität der abfallpolitischen Regulierung sollen danach auf das Maß reduziert werden, das die Ziele der Umweltpolitik gebietet. Kernstück im Konzept des Umweltrates ist die Durchsetzung von Umweltzielen, die sich auf die Reduzierung von Umweltbeeinträchtigungen direkt beim Verursacher konzentrieren. Bei Knappheiten im Bereich der Verwertungs- und Beseitigungsanlagen bedarf es nach Ansicht des Umweltrates keiner besonderen umwelt- und abfallpolitischen Eingriffe. Vielmehr sollte über die Privatisierung von Entsorgungsanlagen dafür gesorgt werden, daß Knappheiten preiswirksam werden und Angebot sowie Nachfrage flexibel auf Preisänderungen reagieren können. In einer wettbewerblich organisierten Abfallwirtschaft, in der die Einhaltung von Umweltqualitätszielen und -standards seitens der Betreiber von Entsorgungsaktivitäten durch geeignete ordnungsrechtliche oder preispolitische Maßnahmen sichergestellt ist, werden bestehende Vorschriften, die den Entsorgungsweg regulieren (z. B. Maßnahmen zur Förderung der Verwertung, Sammel- und Verwertungsquoten) weitestgehend überflüssig. Die Entscheidung darüber, ob verwertet oder beseitigt wird, fällt statt dessen der Abfallbesitzer unter den für ihn im Einzelfall geltenden besonderen Bedingungen. Dem Umweltrat ist bewußt, daß ein solches Konzept nur schrittweise und über einen längeren Zeitraum hinweg realisiert werden kann. Die deutsche Abfallpolitik ist an die auf der europäischen Ebene gesetzten Rahmenbedingungen gebunden, so daß der empfohlene Wandel auch auf der europäischen Ebene durchgesetzt werden muß. Der Umweltrat verkennt nicht, daß die Verwirklichung des Konzeptes schwierig sein wird. Die aus mehr Wettbewerb in der Abfallwirtschaft zu erwartenden Effizienzsteigerungen lassen ihm diesen Einsatz jedoch als lohnend erscheinen.
Veränderte Rahmenbedingungen: Abfallwirtschaftspolitik auf dem Prüfstand (2)
Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen übergab am 27. Februar 1998 der Bundesregierung sein neuestes UmDer Rat von Sachverständigen für Umweltfragen übergab am 27. Februar 1998 der Bundesregierung sein neuestes Umweltgutachten. Darin nimmt er die aktuelle Entwicklung der Abfallwirtschaft zum Anlaß, das Thema seines 1991 veröffentlichten Sondergutachtens erneut aufzugreifen. weltgutachten. Darin nimmt er die aktuelle Entwicklung der Abfallwirtschaft zum Anlaß, das Thema seines 1991 veröffentlichten Sondergutachtens erneut aufzugreifen.
Im einzelnen beurteilt der Umweltrat das geltende Abfallrecht in der Vollzugspraxis. Dabei stehen aktuelle Themen der abfallpolitischen Diskussion wie die Abgrenzung zwischen Abfällen zur Verwertung und solchen zur Beseitigung, die Pflicht zur Aufstellung von Abfallwirtschaftskonzepten und Abfallbilanzen, die Privatisierungsansätze des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes, die Auslastung kommunaler Entsorgungskapazitäten sowie die Frage der kleinräumigen Entsorgungsautarkie im Mittelpunkt. Darüber hinaus werden wichtige abfallpolitische Instrumente, wie Gebühren, Abgaben, Rücknahmeverpflichtungen oder Selbstverpflichtungen näher betrachtet, ebenso wie Verwertungs- und Beseitigungsverfahren. Bei letzteren beschreibt und bewertet der Umweltrat den Stand der Technik der Abfallverbrennung, die Kontroverse über die mechanisch-biologische Behandlung von Restabfällen, Entsorgungsalternativen für Verpackungsabfälle, Sonderabfälle und Klärschlämme sowie den zukünftigen Umgang mit PVC im Stoffkreislauf.
Die Abfallpolitik hat sich in den vergangenen Jahren sehr viel dynamischer entwickelt als andere Bereiche der Umweltpolitik. Mit der 17. BImSchV, der Verpackungsverordnung, der TA Abfall und der TA Siedlungsabfall sowie dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz hat die Bundesregierung auf die Herausforderungen reagiert, die sich angesichts des drohenden Entsorgungsnotstandes sowie erheblicher Umweltbelastungen durch Abfallverbrennungsanlagen und Deponien Ende der achtziger Jahre stellten.Entsorgungsengpässe sind mittlerweile Überkapazitäten gewichen. Außerdem sind zahlreiche Innovationen in der Entsorgungstechnik zu verzeichnen. Diese Veränderungen haben zugleich dazu geführt, daß Ziele und Instrumente der Abfallpolitik aus heutiger Sicht anders bewertet werden müssen als noch vor wenigen Jahren. Entsprechend schlägt der Umweltrat eine Neuordnung der Abfallpolitik vor.
Abfallwirtschaftspolitik weiterhin ohne konsistentes Konzept / Umweltziele mit mehr Markt und Wettbewerb durchsetzen
Mit der Verabschiedung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes, das 1996 in Kraft trat, wurde eine langwierige und kontrovers geführte Diskussion zunächst abgeschlossen. In einer ersten Zwischenbilanz stellt der Umweltrat fest, daß zentrale Fragen, wie etwa die Abgrenzung zwischen "Abfall zur Verwertung" und "Abfall zur Beseitigung", in dem neuen Regelwerk offengeblieben sind. Erhebliche Unsicherheiten bei der praktischen Umsetzung des Gesetzes sind die Folge. Der Umweltrat begrüßt die im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz angelegte Öffnung der Abfallwirtschaft für den Markt, betrachtet sie aber insgesamt als zu zaghaft. Markthemmende Regulierungen, z. B. die Möglichkeit der Länder, kleinräumige Entsorgungsautarkie in den Abfallwirtschaftsplänen vorzuschreiben, blieben in dem neuen Gesetz im Kern unangetastet. Insgesamt zeigt sich, daß von einem konsistenten abfallwirtschaftlichen Gesamtkonzept nach wie vor keine Rede sein kann. Im Anschluß an die Ausführungen zur abfallpolitischen Ist-Situation entwickelt der Umweltrat deshalb ein Konzept für eine künftige, stärker marktorientierte Abfallwirtschaft. Umfang und Intensität der abfallwirtschaftlichen Regulierung sollen danach auf das durch die Ziele der Umweltpolitik gebotene und gerechtfertigte Maß reduziert werden. Nach den Vorstellungen des Umweltrates soll den Markt- und Wettbewerbsprozessen in der Abfallwirtschaft mehr Raum gegeben und ihnen ähnliche Flexibilität gestattet werden wie anderen Märkten. Nur dann sind nach Ansicht des Umweltrates Umweltziele auch auf Dauer mit akzeptablen Kosten durchsetzbar.
Umwelteffekte direkt beim Verursacher regulieren
Zentraler Punkt im Konzept des Umweltrates ist die möglichst kostengünstige Durchsetzung von Umweltzielen über die Steuerung der Umweltbelastungen direkt beim Verursacher. Dabei sind in erster Linie die von den Abfallbehandlungsanlagen und Deponien ausgehenden Umwelteinwirkungen, also die Emissionen und strukturellen Eingriffe in den Naturhaushalt (z. B. Flächenverbrauch) relevant. Für unterschiedliche Formen der Umweltinanspruchnahme sind unterschiedliche Steuerungsinstrumente einzusetzen. Entscheidend ist, daß identische Formen der Umweltinanspruchnahme auch identisch behandelt werden – unabhängig davon, ob sie von der Abfallwirtschaft oder anderen Wirtschaftssektoren ausgehen. Auf diese Weise werden Umwelteinwirkungen dort vermieden, wo dies die geringsten Kosten verursacht.
Kapazitätsprobleme dem Markt überlassen
Die Empfehlung, staatliche Eingriffe in die Abfallwirtschaft weitestgehend auf die Steuerung von Umweltbelastungen aus der Entsorgung zu reduzieren, heißt nicht, daß im Einzelfall nicht auch die Vorbehandlungs- oder Deponiekapazitäten zum limitierenden Faktor werden könnten. Im Gegensatz zu den Emissionen und den strukturellen Eingriffen bedarf es jedoch bei Knappheit im Bereich der Verwertungs- und Beseitigungsanlagen keiner besonderen umwelt- oder abfallpolitischen Eingriffe. Dafür ist aber Voraussetzung, daß über die Privatisierung von Entsorgungsanlagen und eine wettbewerbliche Organisation der Abfallmärkte dafür gesorgt ist, daß solche Knappheiten preiswirksam werden und daß Angebot sowie Nachfrage flexibel auf Preisänderungen reagieren können.
Marktversagen bei der Weitergabe des Lenkungsimpulses heilen
Die Besonderheit der Steuerung der Umweltnutzung durch die Abfallwirtschaft liegt in drei Formen von Marktversagen bei der Weitergabe des Lenkungsimpulses über alle Akteure, die an der Entstehung und Entsorgung von Abfall beteiligt sind ("Wirkungsbrüche"). So kann es durchaus angezeigt sein, die Entsorgungsverantwortung und damit die Entsorgungskosten vom Letztgebraucher zum Produzenten zu verlagern. Instrumente, die dies leisten, sind Rücknahmepflichten und "Deposit-refund"-Systeme. Angesichts der hohen Kosten produktbezogener Sammelsysteme sollte bei der Entscheidung über die Verlagerung der Entsorgungsverantwortung jedoch auf die potentielle Schädlichkeit des Produkts abgestellt werden.
In einer stärker marktorientierten Abfallwirtschaft werden Vorschriften zur Regulierung von Entsorgungswegen obsolet.
In einem System, in dem allen mit dem Umgang von Abfällen verbundenen Emissionen und strukturellen Eingriffen in den Naturhaushalt durch ordnungsrechtliche oder preispolitische Maßnahmen gegenüber den direkten Verursachern Grenzen gesetzt sind, bedarf es keiner zusätzlichen Maßnahmen zur Förderung der Verwertung gegenüber der Beseitigung, keiner über die zur Sicherung der Größen- und Verbundvorteile bei der Sammlung von Hausmüll hinausgehenden Andienungspflichten und Autarkiezwänge, keiner öffentlich-rechtlich betriebenen Entsorgung und keiner Sammel- und Verwertungsquoten. Die erwünschte Anpassung der Mengen und Schädlichkeiten der Abfälle und der Entsorgungskapazitäten aneinander und an die Rahmenbedingungen des Umwelt- und Gesundheitsschutzes findet über den Markt statt. Verwertungs- und Mehrwegquoten, Auflagen zur Produktgestaltung (wie die Verwendung von Recyclaten oder die Verwertbarkeit nach dem Produktgebrauch), Verbote der Deponierung bestimmter Abfallfraktionen: Sie alle stellten zwar vor dem Hintergrund einer fehlenden Anlastung der Umweltkosten beim direkten Verursacher gerechtfertigte Zwischenlösungen dar, wären im geschilderten Regulierungsszenario jedoch ökologisch überflüssig und ökonomisch schädlich. In einem solchen System ist auch die umstrittene Unterscheidung zwischen "Abfall zur Verwertung" und "Abfall zur Beseitigung" überflüssig. Denn ob verwertet oder beseitigt wird, entscheidet jeder damit befaßte Akteur im Einzelfall unter den für ihn geltenden besonderen Bedingungen. Für die Funktionsfähigkeit des Systems unentbehrlich, insbesondere für die Kontrollierbarkeit illegaler Ausweichreaktionen, ist hingegen ein System von Nachweispflichten, das es erlaubt, den Verbleib von Abfällen aller Art ausreichend genau nachzuvollziehen.
Schrittweises Vorgehen geboten
Dem Umweltrat ist bewußt, daß ein solches Konzept nur schrittweise und über einen längeren Zeitraum hinweg realisiert werden kann. Viele der empfohlenen Änderungen werden nicht ohne einen gewissen Bestandsschutz und damit verbundene Zeithorizonte zu verwirklichen sein. Außerdem ist die deutsche Abfallpolitik an die auf der europäischen Ebene gesetzten Rahmenbedingungen gebunden, so daß der empfohlene Wandel auch auf der europäischen Ebene durchgesetzt werden muß. Bei der Realisierung von Teilschritten müssen sowohl die Frage der Vollständigkeit der umweltpolitischen Rahmenordnung als auch die mit den unterschiedlichen institutionellen Arrangements verbundenen Transaktionskosten im Blick behalten werden. Der Umweltrat verkennt nicht, daß die Verwirklichung des Konzeptes schwierig sein wird. Die aus mehr Wettbewerb in der Abfallwirtschaft zu erwartenden Effizienzsteigerungen lassen ihm diesen Einsatz jedoch als lohnend erscheinen.
Umweltprobleme gentechnisch veränderter Pflanzen (3)
Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen übergab am 27. Februar 1998 der Bundesregierung sein neuestes Umweltgutachten. Mit einem der Sonderthemen darin greift der Umweltrat die derzeit sehr emotional geführte Diskussion um die Problematik der Gentechnik auf.
Risiken bei der Freisetzung und dem Inverkehrbringen beachten
Die Nutzung der Gentechnik wird zweifellos mittel- und langfristig Einfluß auf ökologische und evolutionäre Prozesse haben. Die gezielte Konstruktion eines gentechnisch veränderten Organismus im Labor stellt einen Vorgang dar, der im Rahmen einer natürlichen Evolution höchstwahrscheinlich nie abgelaufen wäre. Derzeit gibt es allerdings keine gesicherten Hinweise darauf, gentechnisch veränderten landwirtschaftlichen Nutzpflanzen im Vergleich zu konventionell gezüchteten per se eine besondere und herausragende Beeinflussung der Evolution zuzuschreiben. Alle bislang gewonnenen Erkenntnisse zur Etablierung transgener Organismen und zur Auskreuzung von Fremdgenen lassen den Schluß zu, daß die bis heute in der Landwirtschaft Mitteleuropas eingesetzten herbizidresistenten Pflanzen weder nennenswerte wirtschaftliche Vorteile, noch erhebliche ökologische Veränderungen erwarten lassen. Der Umweltrat hält insgesamt die – ohne Zweifel vorhandenen – Risiken der Gentechnik, die mit einer breiten Einführung in der Land- und Forstwirtschaft verbunden sind, für tragbar. Besondere Schäden, die bei land- und forstwirtschaftlicher Nutzung wesentlich über das übliche Maß hinausgehen, sind beim gegenwärtigen Stand von Freisetzung und Anbau nicht zu erwarten. Der Zustand der relativen Unbedenklichkeit könnte sich jedoch schon bald ändern, wenn in Zukunft Fremdgene eingesetzt werden sollten, die mehr umweltrelevante Eigenschaften aufweisen und ein Überleben unter extremen Umweltbedingungen wie Hitze, Kälte, Trockenheit, Nährstoffmangel oder Salzstreß ermöglichen. Der Umweltrat hält deshalb ein dem heutigen Wissensstand angepaßtes Bündel von Maßnahmen für erforderlich, um die unterschiedlichen Risikoqualitäten der gentechnischen Eingriffe auch künftig angemessen bewerten und mögliche langfristige Auswirkungen des kommerziellen Einsatzes der Gentechnik auf Menschen und Umwelt erkennen zu können.
Auf Markergene mit Resistenz gegen Antibiotika verzichten
Obwohl die Wahrscheinlichkeit der Übertragung von Resistenzeigenschaften äußerst gering ist, vertritt der Umweltrat die Ansicht, daß zukünftig auf jegliche Art von Markergenen mit Antibiotikaresistenzeigenschaften aus Gründen der Vorsorge verzichtet werden muß.
Vorausschauende Risikobewertung möglich
Aus Daten zum ökologischen Verhalten von nichttransgenen Pflanzen, die die ökologischen Parameter Hybridisierung, Pollenausbreitung, Samenausbreitung und Verbreitungshäufigkeit umfassen, lassen sich Risikokategorien ableiten, in die landwirtschaftlich genutzte transgene Pflanzen eingeordnet werden können. Der Umweltrat hält es für dringend geboten, den wissenschaftlichen Ansatz der Ausbreitungsindizes in der Risikobewertung und im Zulassungsverfahren nach Gentechnikgesetz einzusetzen. Da durch das Einführen von Fremdgenen in Pflanzen das ökologische Verhalten verändert werden kann, bedürfen auch die eingeführten Genkonstrukte und die dadurch vermittelten Eigenschaften einer Risikobewertung. Mit einem doppelten Bewertungsansatz von einerseits ökologischen Ausbreitungsindizes und andererseits einer Klassifizierung von Fremdgenen kann das ökologische Verhalten von transgenen Pflanzen in einem theoretischen Prüfverfahren bestimmt werden. Dies dient der frühzeitigen Erkennung von gentechnischen Veränderungen mit relativ geringen, relativ großen oder ungewissen Risiken.
Ökologische Begleitforschung und ökologische Dauerbeobachtung notwendig
Da mit einer Zunahme gentechnischer Neuentwicklungen mit Überlebensvorteilen und damit auch mit größeren Risiken zu rechnen ist, hält der Umweltrat eine längerfristige finanzielle und institutionelle Sicherung der Begleitforschung für erforderlich. Es muß zudem Sorge dafür getragen werden, daß die in den einzelnen Freilandversuchen der Begleitforschungerhobenen Daten den Genehmigungs- und Überwachungsbehörden sowie der Öffentlichkeit rasch zugänglich gemacht werden. Bis heute werden Daten von kontrollierten Freisetzungsversuchen extrapoliert und daraus ökologische Vorhersagen zu Massenfreisetzungen in der Landwirtschaft gewonnen. Wegen der sich daraus ergebenden Unwägbarkeiten empfiehlt der Umweltrat, diese ökologischen Vorhersagen laufend in der Realität zu überprüfen und deshalb eine ökologische Dauerbeobachtung einzurichten. Ein solches Monitoring sollte vorrangig den Zielen der biologischen Sicherheit und des Naturschutzes dienen und die ökologischen Auswirkungen untersuchen, die sich aus einer möglichen Ausbreitung transgener Pflanzen beziehungsweise der eingesetzten Fremdgene ergeben. Begleitforschungen und Dauerbeobachtungsprogramme dienen bei dem derzeitigen unzureichenden Wissensstand als Warnsystem, das die Chance für ein frühzeitiges Erkennen von Umweltgefährdungen bietet und den Erfolg von Gegenmaßnahmen erhöht. Der Umweltrat befürwortet die Einrichtung einer zentralen Koordinationsstelle für die Umweltüberwachung transgener Organismen unter Beteiligung verschiedener Institutionen.
Gleichartigkeit/Ungleichartigkeit gentechnisch veränderter und konventioneller Pflanzen
Bei der Bewertung von Auswirkungen gentechnisch veränderter Organismen auf die Umwelt können als Richtschnur grundsätzlich die Maßstäbe des Naturschutzrechts herangezogen werden, jedoch fehlt es bisher an einem geschlossenen Konzept. Anhand des Maßstabs der Gleichartigkeit/Ungleichartigkeit werden die Auswirkungen gentechnisch veränderter Organismen mit denen natürlicher Prozesse oder konventioneller Züchtungen verglichen. Handelt es sich um Auswirkungen, die in gleicher Weise in der Natur ablaufen oder durch konventionelle Züchtungen verursacht werden können, gelten sie grundsätzlich als nicht schädlich. Handelt es sich um neuartige Prozesse, so liegt keine Schädlichkeit per se vor, vielmehr muß eine besondere Bewertung erfolgen. Dieser Ansatz ist bei Freisetzungen grundsätzlich richtig. Beim Anbau ist seine Tragfähigkeit dagegen begrenzt. Im Hinblick auf den möglichen massenweisen Einsatz eines gentechnisch veränderten Organismus ist es denkbar, daß die Auswirkungen nicht mehr mit denen natürlicher Prozesse vergleichbar sind. Die Problematik solcher Bewertungen liegt in dem langen Zeitraum.
Saatgutverkehrsgesetz und Gentechnikrecht harmonisieren
Das Inverkehrbringen von Pflanzensorten bedarf einer Zulassung nach dem Saatgutverkehrsgesetz. Die Defizite der Saatgutzulassung liegen vor allem darin, daß neue Sorten nicht systematisch auf ihre gesundheitlichen Risiken überprüft werden und die Verbreitung unerwünschter Eigenschaften neuer Sorten in der Umwelt nicht kontrolliert werden kann. Während dieser Mangel bei gentechnisch veränderten Sorten durch das vorlaufende Zulassungsverfahren nach dem Gentechnikgesetz aufgefangen werden kann, besteht bei konventionellen Züchtungen eine Gesetzeslücke. Diese Wertungswidersprüche zwischen Saatgutverkehrs- und Gentechnikrecht sind aus Sicht des Umweltrates gesundheits- und umweltpolitisch kaum begründbar.
Freisetzung und Inverkehrbringen deregulieren
Der Umweltrat sieht grundsätzlich den kombinierten Ansatz der Risikobewertung als geeignet an, das Zulassungsverfahren für Freisetzungen hinsichtlich der ökologischen Risiken zu deregulieren. Er lehnt zur Zeit eine Entlassung aus dem Zulassungsverfahren ab; er hält jedoch ein bezüglich einzelner Risikosegmente vereinfachtes Verfahren zukünftig für möglich, wenn es gelingt, unterschiedliche Risikoniveaus zu definieren und handhabbar zu machen. Problematischer erscheint dem Umweltrat die Frage nach einer möglichen Deregulierung des Zulassungsverfahrens für das Inverkehrbringen. Er hält zwar grundsätzlich eine Übertragung des Konzeptes der Risikoklassen auch auf das Inverkehrbringen für möglich, soweit es sich um gentechnische Veränderungen mit klar definierten Eigenschaften handelt; die Aufgabe, diese Veränderungen zu bezeichnen, muß aber erst noch geleistet werden. Deregulierungen dieser Art müßten darüber hinaus eine Ausweitung der vom Umweltrat befürworteten Begleitforschung und des Nachzulassungsmonitoring auch im Lebensmittelbereich zur Folge haben. Daher kann in absehbarer Zeit nicht so sehr die Entlassung aus der Zulassungspflicht, sondern allenfalls die Einführung eines vereinfachten Verfahrens erwogen werden. Im Hinblick darauf, daß das deutsche Gentechnikrecht auf der EG-Freisetzungsrichtlinie beruht, können derartige Veränderungen regelmäßig nur durch eine Entscheidung der Organe der Europäischen Union erfolgen. Hierfür gibt es gewisse Ansätze.
Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Lebensmittel
Das EU-Recht führt besonders Verfahren für die Zulassung gentechnisch veränderter Lebensmittel ein, die darauf abzielen, gesundheitliche Risiken für den Verbraucher weitgehend auszuschließen. Zulassung und Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel stehen im Mittelpunkt des Verbraucherinteresses. Es bestehen zur Zeit erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich der Feststellung und Bewertung des Vorhandenseins gentechnischer Veränderungen, insbesondere der substantiellen Gleichwertigkeit von gentechnisch im Vergleich zu konventionell hergestellten Lebensmitteln. Der Umweltrat weist darauf hin, daß daher in vielen Fällen allenfalls ein pragmatisches Vorgehen bei der Kennzeichnung möglich sein wird. Notwendig ist eine umfassende Verbraucherinformation, die die volle Transparenz beim Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Lebensmittel herstellen muß. Die Verbraucherinformation ist nach Auffassung des Umweltrates vor allem dadurch gerechtfertigt, daß es sich bei den Risiken der Gentechnik um neuartige Risiken handelt, bei denen Bewertungsirrtümer nie völlig ausgeschlossen werden können. Der Umweltrat bedauert, daß es keine Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Zusatzstoffe, Aromen und Enzyme gibt. Die gegenwärtige Diskussion über die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel sollte darüber hinaus Veranlassung geben, insgesamt eine ausgewogene Politik umfassender Verbraucherinformation bei allen, nicht nur gentechnisch veränderten Lebensmitteln zu entwickeln.
Das Umweltgutachten kann im Volltext aus dem Internet bezogen werden:
http://www.umweltrat.de
Weitere Auskünfte erteilt: Dr. Christian Hey, Generalsekretär, Tel.: 030/263696- 0
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