Sachverständigenrat für Umweltfragen

Umwelt und Gesundheit: Sondergutachten 1999

Datum 31.08.1999

Umwelt und Gesundheit

  • Risiken richtig einschätzen
  • Transparenz schaffen
  • Ängste abbauen

Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen hat am 31. August 1999 der Bundesregierung in Berlin sein Sondergutachten "Umwelt und Gesundheit" übergeben. Damit knüpft er an Ausführungen in seinen bisherigen Umweltgutachten, insbesondere im Umweltgutachten 1987, an. Zugleich greift er die Anregung aus dem jüngst vorgelegten Aktionsprogramm "Umwelt und Gesundheit" der Bundesministerien für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie für Gesundheit auf, eine intensive Diskussion über die Problematik umweltbedingter Gesundheitsbeeinträchtigungen zu führen.

Zur Abschätzung des Risikos umweltbedingter Gesundheitsbeeinträchtigungen

Es ist Aufgabe der Politik, Ziele zu entwickeln und vorsorgende Maßnahmen zu ergreifen, die dem Schutzbedürfnis der Bevölkerung vor umweltbedingten Gesundheitsbeeinträchtigungen Rechnung tragen. Grundlage für den politischen Umgang mit Risiken sollten grundsätzlich wissenschaftlich begründete Risikoabschätzungen sein. Diese werden zwar durch komplexe Expositionsbedingungen und multikausale Beziehungen zwischen Umweltfaktoren und Erkrankungen erschwert, jedoch haben sich die herkömmlichen Verfahren der toxikologischen und epidemiologischen Risikoabschätzung vielfach bewährt. Es handelt sich dabei um wissenschaftliche Verfahren mit einem hohen Grad an Zuverlässigkeit der Vorhersage, obwohl sie mit bestimmten Annahmen und Abschätzungen wie Wirkungsmodellen und Sicherheitsfaktoren arbeiten. Gegebenenfalls müssen vorläufige Risikobewertungen erfolgen, die sich aus pragmatischen Gründen mit einem geringeren Maß an gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen begnügen und der Begrenztheit des Wissens Rechnung tragen.

Der Umweltrat stellt fest, daß vielfach eine Diskrepanz zwischen wissenschaftlicher Risikoabschätzung und der subjektiven Risikowahrnehmung seitens der Betroffenen besteht. Die subjektive Risikowahrnehmung ist zwar ein unverzichtbares Element der Entscheidungsfindung, es würde jedoch der Verantwortung der Politik widersprechen, evident unangemessene Risikoeinschätzungen nach oben (Phantomrisiken) oder nach unten (extreme Sorglosigkeit) zu berücksichtigen. Daher mahnt der Umweltrat eine Verbesserung der Kommunikation zwischen den beteiligten Gruppen (Betroffene und Entscheider) und der Vermittlung von Risiken an. So lassen sich Ängste abbauen sowie allgemein akzeptierte Ziele festlegen.

Zur Problematik besonders empfindlicher (vulnerabler) Gruppen

Von besonderer Bedeutung bei der Bewertung von umweltbedingten Gesundheitsbeeinträchtigungen ist die wissenschaftlich begründete Identifizierung und Charakterisierung von besonders empfindlichen Gruppen. Dies bietet die Grundlage, um die vom Grundgesetz verankerte staatliche Schutzpflicht zugunsten vulnerabler Gruppen zu verwirklichen.
Der Schutz vulnerabler Gruppen bedeutet jedoch nicht, daß auch die Empfindlichkeiten Einzelner oder einzelner Kleinstgruppen Grundlage für staatliche Maßnahmen sein müßten.

Problemfelder mit besonderem Klärungs- und Handlungsbedarf

Die Thematik umweltbeeinflußter Gesundheitsbeeinträchtigungen unterliegt gegenwärtig einem Wandel. So treten chronische Krankheitsformen gegenüber akuten zunehmend in den Vordergrund. Solche Gesundheitsbeeinträchtigungen sind das Ergebnis komplexer Wechselwirkungen zwischen Noxen und anderen Umweltfaktoren (z. B. Lebensstil), wobei Kausalitäten nicht immer oder nicht eindeutig erkannt sind.
Der Umweltrat widmet im vorliegenden Sondergutachten den Zusammenhängen zwischen Umweltbelastungen und Allergien sowie Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Lärm und durch ultraviolette Strahlung besondere Aufmerksamkeit. Er hält diese für unterschätzt. Dagegen werden die Gesundheitsbeeinträchtigungen durch hormonähnlich wirkende Stoffesowie das Krankheitsbild der Multiplen Chemikalien-Überempfindlichkeit nach Ansicht des Umweltrates häufig überschätzt.

Hormonähnlich wirkende Stoffe

Von etwa 250 bis 1 000 Stoffen wird vermutet, daß sie hormonähnliche Wirkungen haben. Die Belastung des Menschen mit hormonähnlich wirkenden Stoffen ist durch Aufnahme und Wirkung von Substanzen natürlichen Ursprungs stärker als durch synthetisch erzeugte Stoffe.
Eine zentrale Rolle in der Risikobewertung spielt daher der Wirkstärkenvergleich zwischen natürlichen und synthetisch erzeugten Stoffen unter Berücksichtigung der jeweiligen Exposition. Nach dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnisse ist eine Beeinträchtigung der menschlichen Gesundheit durch synthetisch erzeugte Stoffe eher unwahrscheinlich.

Multiple Chemikalien-Überempfindlichkeit

Der Umweltrat stellt fest, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein ursächlicher Zusammenhangzwischen Multipler Chemikalien-Überempfindlichkeit und vielfältigen Umwelteinflüssen, die von der Mehrheit der Bevölkerung gut vertragen werden, nicht wissenschaftlich belegbar ist, jedoch auch nicht ausgeschlossen werden kann. Angesichts der unsicheren Datenlage und der Subjektivität der Beschwerden sieht der Umweltrat auf diesem Gebiet Forschungsbedarf.

Allergien

Angesichts der großen und weiter wachsenden Zahl von Allergikern sieht der Umweltrat dringenden Handlungsbedarf zur Einleitung geeigneter Vorsorgemaßnahmen. Diese Vorsorge sollte dem Schutz allergisch vorbelasteter Personen gelten. Davon sind mittlerweile 24 bis 32 Millionen Einwohner Deutschlands betroffen. Das Immissionsschutzrecht, das Arbeitsschutzrecht und das Lebensmittelrecht tragen nach Auffassung des Umweltrates den Schutzbedürfnissen von Allergikern nicht ausreichend Rechnung. So sind zum Beispiel allergiebezogene Kennzeichnungen bei Lebensmitteln und anderen Produkten schon jetzt möglich und zumutbar, da die allergen wirkenden Stoffe häufig bekannt sind.
Zudem drängt der Umweltrat darauf, bestehende Defizite insbesondere im Bereich der experimentellen, klinisch-angewandten und umweltepidemiologischen Allergieforschung zu beheben. Es fehlen altersgruppenabhängige Prävalenz- und Inzidenzdaten für die verschiedenen allergischen Erkrankungen in Deutschland. Die Beziehung zwischen Asthma bronchiale, allergischem Schnupfen (Rhinokonjunktivitis) und/oder atopischem Ekzem (Neurodermitis) und einer Exposition gegenüber anthropogenen Schadstoffen (z. B. verkehrsbedingte Emissionen, Chemikalien in Nahrungsmitteln und Kleidung) ist abzuklären.
Dasselbe gilt für häufige Schadstoffe in der Innenraumluft (z. B. Tabakrauch). Kombinationseffekte durch synergistische oder potenzierende Schadstoff- und Allergenwirkungen sind noch wenig untersucht und die Auslöser im einzelnen qualitativ und quantitativ noch nicht identifiziert.
Einen Schwerpunkt staatlichen Handelns sieht der Umweltrat auch im Bereich Wohnungsbau und Inneneinrichtung. Danach sollten bei Überlegungen zu energiesparender Bauweise, Haustechnik und Innenausstattung die Belange der Risikopopulation Allergiker Berücksichtigung finden.

Lärm

Die Geräuschbelastung durch Straßen-, Schienen- und Flugverkehr ist nach wie vor hoch. Technisch erzielte Reduktionen werden durch das weiterhin zunehmende Verkehrsaufkommen kompensiert. Etwa 70 % der Deutschen fühlen sich durch den Straßenverkehrslärm belästigt, etwa 50 % durch Fluglärm. Auch eine subjektiv erlebte Belästigung verursacht insbesondere körperliche Streßreaktionen. Diese können bei langfristiger Belastung Gesundheitsschäden zur Folge haben. Beispielsweise ist von einem erhöhten Herzinfarktrisiko auszugehen.
Der Umweltrat fordert eine Fortentwicklung vorhandener Ansätze zu einem anspruchsvollen Langzeitprogramm für den Schutz gegen Lärm. Das Umwelthandlungsziel von 65 dB(A) bei Tag kann nur ein Nahziel für den vorbeugenden Gesundheitsschutz und für den Schutz gegen erhebliche Belästigungen darstellen. Es muß durch mittelfristige Ziele – 62 dB(A) als Präventionswert und 55 dB(A) als Vorsorgezielwert – ergänzt werden. Für die Nachtzeit sind kurzfristig ein Wert von 55 dB(A), mittelfristig ein Wert von 52 dB(A) und langfristig ein Vorsorgezielwert von 45 dB(A) anzustreben. In besonders schutzbedürftigen Gebieten, wie etwa im Umfeld von Krankenhäusern und Sanatorien und gegebenenfalls auch in reinen Wohngebieten, sollte ein Vorsorgezielwert von 35 bis 40 dB(A) angestrebt werden. Dies entspricht im wesentlichen den Regelungen der DIN 18005 und der TA Lärm. Zudem ist zu prüfen, ob die daneben anwendbaren Maximalpegel weiter abgesenkt werden müssen. Dabei ist die Staffelung des Schutzanspruches nach dem Nutzungscharakter der Einwirkungsbereiche dahingehend zu modifizieren, daß auch in Misch- und Kerngebieten zumindest bei Nacht ein anspruchsvoller Lärmschutz gewährleistet wird.
Diese anspruchsvollen Handlungsziele können nur durch ein Bündel von Maßnahmen zur Verkehrsvermeidung, Maßnahmen an der Quelle, planerische Maßnahmen und Maßnahmen der Sanierung erreicht werden.

Ultraviolette Strahlen

Die Häufigkeit von Hautkrebserkrankungen ist in den letzten drei Jahrzehnten stark angestiegen. Hauptursache für die Zunahme von Basalzell- und Stachelzellkrebs ist die übermäßige Sonnenexposition. Bei dem früher seltenen, sogenanntem schwarzen Hautkrebs (malignes Melanom) ist derzeit eine Erkrankungszunahme von jährlich 6 % bis 7 % zu verzeichnen. Insbesondere die UV-Exposition im frühen Lebensalter erhöht das Melanomrisiko. Nach Auffassung des Umweltrates sind hier vor allem häufig zu wiederholende Aufklärungskampagnen angezeigt. Auch die Förderung struktureller Maßnahmen, wie etwa die Schaffung von Schattenplätzen auf Schulhöfen, auf Spielplätzen und in Schwimmbädern oder die Entwicklung leichter, auf UV-Durchlässigkeit geprüfter Sommerstoffe kann zur Prävention beitragen.
Der Besuch von Solarien aus kosmetischen Gründen stellt eine überflüssige und leicht vermeidbare UV-Exposition dar. Der Umweltrat sieht hier Bedarf für verstärkte Aufklärungsarbeit sowie für regelmäßige Kontrollen von technischen Einrichtungen und Personal.

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