Sachverständigenrat für Umweltfragen

Ziele der Klimaschutzvereinbarung nicht preisgeben!

Datum 23.02.2004

Mit großer Sorge betrachtet der Umweltrat die aktuelle Auseinandersetzung um den Nationalen Allokationsplan (NAP) zur Umsetzung der EU-Emissionshandelsrichtlinie (RL 2003/78/EG, Abl. L 275/32 vom 25.10.2003). Im Vorgriff auf das im Mai erscheinende Umweltgutachten 2004 erklärt er daher:

Falls die Bundesregierung den vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) vorgetragenen Einwänden folgen sollte, würde dies letztlich darauf hinauslaufen, die weltweit beachtete, ursprünglich parteiübergreifend getragene deutsche Klimapolitik zurückzuwerfen. Faktisch bedeuten die Vorschläge des BDI eine Abkehr von der vertraglich fixierten freiwilligen CO2-Reduktionsverpflichtung. Anstelle der von der Industrie versprochenen Verminderung um 45 Mio. t CO2 zwischen 1998 und 2010 und 20 Mio. t bis 2005 laufen die Forderungen auf einen deutlichen Zuwachs hinaus.

Eine Abkehr von den Zielen der Selbstverpflichtung droht den Ansatz freiwilliger Vereinbarungen dauerhaft zu diskreditieren: hätte die deutsche Industrie Vertrauen in ihre eigenen Zusagen, so müsste sie nicht Widerstand gegen die durch den Emissionshandel geschaffene Rechtsverbindlichkeit mobilisieren. Ohnehin ging die Selbstverpflichtung der Industrie kaum über den normalen Prozess technischer Effizienzsteigerungen hinaus. Gleichzeitig wurde dies mit Gegenzusagen der Bundesregierung erkauft (Verzicht auf KWK-Quote, Sonderregelungen bei der Ökosteuer).

Der Vorschlag des BMU entspricht weitgehend den bisherigen Forderungen der deutschen Wirtschaft. Die im Rahmen der Selbstverpflichtung versprochenen Verminderungen bilden die Berechnungsbasis für die kostenlose Vergabe von Emissionsrechten. Zusätzliche Zertifikate werden für den Atomausstieg bereit gestellt. Bereits getätigte Anlagenmodernisierungen ("Early Actions") können bei der Verteilung der Zertifikate angerechnet werden, künftige Modernisierungen werden mit einer marktgerechten Übertragungsregelung profitabel gemacht. Von Seiten der Industrie werden nun weitere Regelungen verlangt, die nicht nur einen hohen bürokratischen Aufwand erfordern, sondern einem Teil der Wirtschaft die Kosten der Strukturkonservierung der kohlebasierten Stromversorgung aufbürden. Seit 1999 haben die CO2-Emissionen des Stromsektors wieder zugenommen. Die Hinnahme zusätzlicher Emissionsprivilegien für die CO2-intensive Stromerzeugung würde diese ungünstige Entwicklung auch noch honorieren; ihre Kompensation würde überdies den anderen am Emissionshandel beteiligten Unternehmen angelastet werden. Dies ist auch wirtschaftspolitisch nicht zu rechtfertigen. Es werden im Gegenteil negative Signale für einen Innovationsprozess gegeben, auf den sich die deutsche Wirtschaft längst mit beachtlichen Chancen eingelassen hat.

Diese Innovationssignale wurden in anderen europäischen Ländern bereits erkannt. So sind nicht einmal 5 % der in den EU-Ländern mittelfristig geplanten Kraftwerksneubauten Kohlekraftwerke. Großbritannien hat die Einführung des Emissionshandels zur Verschärfung seines nationalen Minderungsziels genutzt und geht damit deutlich über seine in der Emissionshandelsrichtlinie eingegangen Verpflichtungen hinaus.
Der Umweltrat sieht im vorgeschlagenen Emissionshandel grundsätzlich – unter der Voraussetzung klarer Zielvorgaben, angemessener Kontrolle und Sanktionierung – ein zielführendes Instrument, das Maßnahmen des Klimaschutzes dort nahe legt, wo sie am kostengünstigsten erbracht werden können. Deshalb verteidigt er die jetzt anstehenden Regelungen mit Nachdruck gegen eine teilweise irreführende Argumentation. Er appelliert an Kanzler und Bundesregierung, die der Wirtschaft im vorliegenden Entwurf bereits eingeräumten Konzessionen nicht zusätzlich auszuweiten.

Ausführlichere Informationen werden in der ersten Märzwoche auf der Homepage des Umweltrates unter http://www.umweltrat.de zur Verfügung gestellt. In dem im Mai 2004 erscheinenden Umweltgutachten 2004 des Umweltrates wird überdies detailliert auf das Instrument Emissionshandel eingegangen.

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