Sachverständigenrat für Umweltfragen

Umweltpolitische Handlungsfähigkeit sichern

12 Empfehlungen aus dem Umweltgutachten 2004 des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen

Datum 05.05.2004

Die europäische Umweltpolitik befindet sich in einer Phase des Umbruchs und der Neuorientierung. Die bislang recht erfolgreichen Instrumente und Verfahren des europäischen Umweltrechts stehen auf den Prüfstand. Neue Ideen zum "Regieren in Europa" zielen auf eine "Verantwortungsteilung" zwischen den politischen Institutionen und privater Macht sowie auf die Verschiebung von Einfluss und Verantwortung aus der Umweltpolitik in andere Ressorts, bei denen die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie im Mittelpunkt des Interesses steht. Der Umweltrat greift diese Diskussion im vorliegenden Umweltgutachten 2004 auf und warnt vor den Folgen eines Rückzuges auf eine "weiche" Rahmensteuerung durch Selbstverpflichtungen und andere Formen kooperativer Steuerung.

Auch in Deutschland findet aktuell eine umfangreiche, politisch in der Bundesstaats-kommission hochrangig angesiedelte Grundsatzdebatte über die Funktionsfähigkeit der bundesstaatlichen Ordnung statt. Überwiegend wird im Rahmen der Diskussion um die Reform der bundesstaatlichen Ordnung eine Stärkung der Länder durch die Zuweisung weiterer Gesetzgebungskompetenzen gefordert. Der Umweltrat fordert in diesem Gutachten das Gegenteil, nämlich die dringend erforderliche Stärkung der Gesetzgebungskompetenzen des Bundes jedenfalls für den Gewässerschutz und für Naturschutz und Landschaftspflege.

Das hier vorliegende Eckpunktepapier ist eine Auswahl der wesentlichsten Empfehlungen aus dem Umweltgutachten 2004.

  1. Klimaschutz: Historische Chance der Kraftwerkserneuerung zur Abkehr vom Kohlepfad nutzen

    In den nächsten 15 Jahren werden die Anlagen zur Stromerzeugung in Deutschland zu wesentlichen Teilen erneuert. Fast die Hälfte der
    Kraftwerkskapazitäten wird stillgelegt bzw. durch neue Kraftwerke ersetzt werden. Diese Erneuerung des Kraftwerkparks bietet für Deutschland eine historische Chance für den Einsatz CO2-armer Energieträger und die Errichtung von Kraftwerken mit sehr hohem Wirkungsgrad und damit für einen ehrgeizigen Klimaschutz zu minimalen Zusatzkosten. Wird diese Chance nicht genutzt, wird Deutschland das nationale Klimaschutzziel für 2020 verfehlen und sich auf eine langfristig ökonomisch wie ökologisch riskante Energieversorgung stützen müssen. Mit dem Emissionshandel steht ein grundsätzlich gut geeignetes Instrument zur Verfügung, um die Energiewirtschaft langfristig zur Suche nach effizienten Techniken der CO2-Verminderung zu motivieren. Da Kraftwerke eine Lebensdauer von durch-schnittlich 40 Jahren haben, muss ein solcher Zeithorizont auch die Gestaltung der ökonomischen und ökologischen Rahmenbedingungen bestimmen. In Bezug auf den Emissionshandel bedeutet dies, dass die Gesamtmenge der handelbaren Emissionen langfristig fixiert werden muss. Der Umweltrat empfiehlt daher der Bundesregierung und der europäischen Kommission möglichst bald verbindliche Langfristziele für die Verminderung der Treibhausgasemissionen in einer klimaschutzpolitisch
    erforderlichen Bandbreite von 60-80% bis 2050 gegenüber dem Jahr 1990 festzulegen, wie es die britische Regierung be-reits getan hat. Deutschland sollte sich dabei das anspruchsvollere Langfristziel setzen und das Zwischenziel einer Verminderung um 40 % bis 2020 bekräftigen. Der von der Bundesregierung am 31. März 2004 vorgelegte Nationale Allokationsplan stattet dagegen Anlagen derart großzügig mit Emissionsrechten aus, dass die Lenkungswirkung des Emissionshandels in dramatischem Umfang abgeschwächt wird. Die Bundesregierung vergibt damit die historische Chance einer klimaverträglichen Kraftwerkserneuerung.

  2. Naturschutz: Europäisches Schutzgebietsnetz endlich verwirklichen

    Die Bundesrepublik Deutschland gehört zu den Schlusslichtern bei der Meldung von Schutzgebieten für das europäische Schutzgebietsnetz NATURA 2000. Nicht nur zur Abwehr weiterer Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland müssen die zuständigen Bundesländer endlich abschließend die einschlägigen Gebiete melden. Die Defizite und Ineffizienzen bei der Umsetzung des europäischen und nationalen Naturschutzrechts sind allenthalben offensichtlich. Insofern sollte auch die Finanzierungsbasis für das NATURA 2000-Netz verbessert werden. Eine zweckgerichtete Neuausrichtung der Agrarförderung auf naturschutzrelevante Umweltleistungen kann hierzu einen entscheidenden Beitrag leisten. Die dem Bund nach dem Grundgesetz bisher zustehende Rahmengesetzgebung genügt nicht, um die europäischen Naturschutzbelange ausreichend zur Geltung zu bringen und die
    Rechtszersplitterung in der Bundesrepublik auf ein praxisverträgliches aß zurückzuführen. Nach Ansicht des Umweltrates sollte daher dem Bund für die Materie des Naturschutzes dringend die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz eingeräumt werden.

  3. Landwirtschaft: Umweltschutz honorieren statt Belastungen subventionieren

    Die bislang hoch subventionierte intensive Landwirtschaft trägt zu zahlreichen, noch nicht gelösten Umweltproblemen bei, so insbesondere zur Eutrophierung der Gewässer, zur Grundwasserbelastung mit Pestiziden und zum Verlust der Artenvielfalt. Angesichts des Handlungsbedarfs bewertet der Umweltrat die Beschlüsse der Agrarminister zur Reform der europäischen Agrarpolitik im Jahre 2003 als in erheblichem Maße unzureichend. Zwar ist eine partielle Entkoppelung von Förderung und Produktion beabsichtigt und es werden künftig auch mehr Mittel für die Förderung des ländlichen Raumes bereit gestellt werden. Noch immer wird aber ein Großteil der Agrarsubventionen ohne Zweckbindung an ökologische oder soziale Ziele vergeben. Eine natur- und umweltverträgliche Landwirtschaft ist so nicht zu erreichen. Grundlegendere Reformen der Agrarpolitik werden dabei nicht nur aus Umweltgründen, sondern auch im Hinblick auf die Finanzierbarkeit der Agrarpolitik und insbesondere auf die Anforderungen des Welthandelsrechts erforderlich sein. Der Umweltrat empfiehlt daher, die zu erwartende weitere Liberalisierung der Agrarpolitik frühzeitig durch flankierende sozial- und umweltpolitische Maßnahmen mitzugestalten. Bei der nationalen Umsetzung der Reformbeschlüsse sollten die neuen nationalen Handlungsmöglichkeiten für eine umweltgerechtere Ausrichtung der Prämien und Direktzahlungen genutzt werden. Vorrangiges Ziel sollte dabei sein, den Erhalt von Grünland wirtschaftlich attraktiv zu gestalten.

  4. Bodenschutz: Flächenverbrauch senken und Altlasten sanieren

    Die immense Flächeninanspruchnahme in einer Größenordnung von über 100 ha pro Tag (= rund 150 Fußballfelder) stellt heute eine der gravierendsten Bedrohungen von Natur und Landschaft dar. Die Versiegelung von Flächen zerstört dauerhaft wichtige Bodenfunktionen. Zu einem wirksamen Bodenschutz gehört daher in erster Linie die Senkung der Flächeninanspruchnahme, wie sie auch die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung vorsieht, sowie das Recycling bereits genutzter Flächen. Der Umweltrat empfiehlt dazu einen Instrumentenmix aus ökonomischen Instrumenten (handelbaren Flächenausweisungsrechten), planungsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten (Raumordnung und Bauleitplanung) und dem Abbau von solchen steuerlichen Vergünstigungen, die eine starke Flächeninanspruchnahme unterstützen. Das Flächenrecycling würde durch diesen Instrumentenmix ökonomisch attraktiver. Es kann darüber hinaus durch eine verbesserte Finanzierung der Altlastensanierung gefördert werden. Der Umweltrat schlägt hierfür unter anderem eine Neuversiegelungsabgabe vor, deren Erträge auch für die Altlastensanierung verwendet werden können.

  5. Grüne Gentechnik und Ökologische Landwirtschaft: Koexistenz sichern und Wahlfreiheit ermöglichen

    Während die gesundheitlichen Risiken der "grünen" Gentechnik nach gegenwärtigem Kenntnisstand als grundsätzlich beherrschbar erscheinen, bestehen noch erhebliche Wissenslücken hinsichtlich der Beherrschbarkeit der ökologischen Risiken. Besorgniserregend ist auch die Gefahr, dass durch Auskreuzung oder auf sonstigem Wege die Produkte der konventionellen und ökologischen Landwirtschaft mit transgenen Substanzen verunreinigt werden. Dies könnte langfristig die Entscheidungsfreiheit all derjenigen Verbraucher untergraben, die keine gentechnisch veränderten Lebensmittel kaufen und konsumieren wollen. Darüber hinaus könnte die förderungswürdige ökologische Landwirtschaft erhebliche Schäden erleiden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass
    nach Einschätzung des Umweltrates aus der Perspektive des Gemeinwohls nur ein geringes Interesse am Einsatz grüner Gentechnik in Europa besteht. Nach Ansicht des Umweltrates muss die Koexistenz zwischen gentechnikfreien Anbau und der "grünen" Gentechnik gesetzlich dauerhaft gesichert werden und zwar insbesondere durch detaillierte Vorschriften zur Vermeidung von Verunreinigungen, durch klare Kennzeichnungsregeln und durch eine wirksame und strenge Haftung der Gentechnikverwender. Der Entwurf der Bundesregierung zur Novellierung des Gentechnikrechts trägt diesen Erfordernissen nach Einschätzung des
    Umweltrates weitgehend Rechnung.

  6. Gewässerschutz: Neue Europäische Qualitätsziele umsetzen

    Die EG-Wasserrahmenrichtlinie hat zum Ziel, bis 2015 flächendeckend eine gute Gewässerqualität zu erreichen. Dieses Ziel erfordert
    innerhalb Deutschlands ein abgestimmtes Vorgehen der Bundesländer bei der grundlegenden Bestandsaufnahme, bei der konkreten Bestimmung der Gewässergüte, bei der länderübergreifenden Bewirtschaftung der Flusseinzugsgebiete und bei der Handhabung der zahlreichen Ausnahmeregelungen. Der derzeitige Umsetzungsstand lässt indessen bezweifeln, dass die erforderliche Abstimmung zwischen den Ländern gelingt. Der Umweltrat beobachtet bei der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie zum Teil gravierende Inkonsistenzen und Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den Bundesländern. Ähnlich wie im Naturschutz erweist sich damit auch im Gewässerschutz die föderale Kompetenzordnung, die dem Bund für den Wasserhaushalt lediglich eine Rahmengesetzgebung ermöglicht, als weder europatauglich noch sachangemessen. Der Umweltrat rät daher den verfassungsgebenden Organen dazu, dem Bund auch im Bereich des Gewässerschutzes eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz einzuräumen.

  7. Luftreinhaltung: Emissionen aus Verkehr und Landwirtschaft weiter mindern

    Trotz bemerkenswerter Erfolge der Luftreinhaltepolitik der vergangenen Jahrzehnte, drohen bei einzelnen Schadstoffen Überschreitungen der zur Gesundheitsvorsorge und dem Schutz der Vegetation erlassenen Feinstäube, für Stickoxide in der Nähe vielbefahrener innerstädtischer Straßen und für Ammoniak aus der Tierhaltung. Hauptverursacher der Immissionen sind mittlerweile der Verkehr und die Landwirtschaft.Dennoch besteht weiterhin auch noch Handlungsbedarf bei Kraftwerken und Industrie.
    Zur Verminderung der Feinstaubemissionen sind strengere Grenzwerte, insbesondere für Dieselfahrzeuge notwendig. Außerdem sind,
    insbesondere auf der kommunalen Ebene verkehrslenkende und planerische Maßnahmen erforderlich, die Belastungen durch den städtischen Verkehr vermindern. Zur Verminderung der Ammoniakemissionen empfiehlt der Umweltrat, die Anforderungen der guten fachlichen Praxis an die Ausbringung von Wirtschaftsdünger strenger zu fassen und eine Stickstoffüberschussabgabe einzuführen.

  8. Lärmschutz: Schutz vor Fluglärm endlich durchsetzen

    Von Lärm fühlen sich viele Menschen erheblich belästigt. Die gesundheitsbezogene Lebensqualität wird – so zeigt die Lärmwirkungsforschung – insbesondere durch lärmbedingte Schlafstörungen beeinträchtigt. Die maßgeblichen Verursacher sind der Straßen- und insbesondere der Luftverkehr. Gleichwohl bleibt die Politik seit langem gerade auch im Bereich des Luftverkehrs untätig. Das Fluglärmschutzgesetz wurde seit 1971 nicht dem Stand des Wissens um die Lärmfolgen angepasst. Dem für die Genehmigung von Flughäfen zentralen Luftverkehrsgesetz fehlt seit 44 Jahren ein untergesetzliches Regelwerk mit eindeutigen und adäquaten Grenzwerten zum Schutz vor Lärm.Selbst der ohnehin unzureichende Gesetzentwurf des BMU zum Schutz der Flughafenanrainer wurde im Jahre 2001 im Kabinett nicht angenommen. Ein neuer Entwurf steht weiterhin aus. Die damals vorgeschlagenen Grenzwerte für Lärmschutzzonen betrachtet der Umweltrat als einen vertretbaren Kompromiss. Langfristig empfiehlt er für die dem Wohnungsbau offenstehende Schutzzone einen Vorsorgezielwert von 45 dB (A) Außenpegel zum Schutze der Nachtruhe und 55 dB (A) während des Tages.

  9. Abfallpolitik: Hohe Entsorgungsstandards für Europa sicherstellen

    Die Abfallpolitik steht unter erheblichem Reformdruck. Das bisherige Instrumentarium zur Steuerung der Abfallströme verliert an Wirksamkeit
    und Effizienz. Es ist rechtlich unsicher, was als Verwertung und was als Beseitigung anzusehen ist. Bewertungsunsicherheiten bestehen
    zunehmend auch hinsichtlich der eindeutigen Identifizierung von Techniken einer hochwertigen Verwertung. Damit erweist sich auch das
    Fundament des Kreislaufwirtschaftsgesetzes als brüchig. Denn zentrale Säulen des Gesetzes bestehen zum einen darin, dass es den Kommunen die
    Alleinzuständigkeit für die Abfallbeseitigung zuweist, während es die Steuerung der Verwertung dem Marktgeschehen überlässt, und zum anderen
    in dem grundlegenden Gebot, Abfälle möglichst hochwertig zu verwerten.

    Der Umweltrat sieht in beiderlei Hinsicht die Notwendigkeit eines abfallpolitischen Kurswechsels auf nationaler und auf europäischer
    Ebene. Für die wichtigsten Entsorgungspfade sollten rasch europaweit anspruchsvolle Mindest-Entsorgungsstandards etabliert werden. Dabei
    sollte die Politik nicht weiter versuchen, die Abfälle nach Maßgabe des Hochwertigkeitskriteriums auf einen vermeint-lich "besten"
    Entsorgungspfad zu zwingen, sondern sich darauf konzentrieren, der Entsorgungswirtschaft durch Anforderungen an Anlagen zur Deponierung,
    zur Verbrennung und zur Verwertung sowie durch Anforderungen an die Schadlosigkeit von Verwertungsprodukten einen anspruchsvollen und
    sicheren Handlungsrahmen zu setzen. Zu diesem Handlungsrahmen gehört nach Überzeugung des Umweltrates auch eine Korrektur des europäischen Abfallverbringungsrechts dahin, dass die Mitgliedstaaten dazu berechtigt werden, Abfallexporte zu verhindern, die ersichtlich auf
    eine Umgehung der gemeinsamen Umweltstandards abzielen. Ein auf die Verminderung von Umweltbelastungen gerichtetes Ressourcenmanagement (insbesondere Energieeinsparung und Klimaschutz) sollte sich nicht auf den Abfallbereich beschränken, sondern umfassender ansetzen.

  10. Chemikalienpolitik: 30 000 Stoffe auf den Prüfstand stellen

    Die europäische Chemikalienpolitik muss reformiert werden: Bisher dürfen zehntausende von Stoffen hergestellt und verwendet werden, ohne
    dass ihre Risiken für Mensch und Natur hinreichend bekannt oder angemessen kontrolliert wären. Das bestehende Chemikalienrecht ist
    insgesamt ineffektiv, unübersichtlich, bürokratisch und nicht innovationsfreundlich. Der Umweltrat begrüßt daher den Vorschlag der Europäischen Kommission für ein neues System der Chemikalienkontrolle, REACh (Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals) als einen bedeutenden Reformschritt. Die neue Chemikalienpolitik verlagert die Verantwortung für die vorläufige Einstufung der meisten Stoffe auf die Hersteller und Anwender und ist geeignet, das Wissen um die Eigenschaften und Risiken von ca. 30 000 so genannten Altstoffen mittel- bis langfristig zu verbessern. Den Forderungen der Wirtschaftsverbände nach einer weiteren Abschwächung des Kommissionsvorschlages sollte entschieden entgegen getreten werden. Die zusätzliche Kostenbelastung für die Wirtschaft ist nach Auffassung des Umweltrates im Rahmen des Vertretbaren. Im übrigen sollte das vorgesehene Zulassungsverfahren an strengere, klarer definierte und vorsorgeorientierte Maßstäbe geknüpft werden, als sie der Kommissionsvorschlag vorsieht, um die große Zahl besonders gefährlicher Stoffe administrativ bewältigen und ihre Freisetzung in die Umwelt verhindern zu können.

  11. Neue gesundheitsbezogene Umweltrisiken ernst nehmen

    Biologische Aerosole, Weichmacher, Acrylamid, Edelmetalle aus Katalysatoren, sowie die Einschätzung des Krankheitsbildes der
    Multiplen Chemikaliensensitivität (MCS) sind wesentliche Gegenstände der aktuellen Diskussion um neu erkannte gesundheitsbezogene
    Umweltrisiken. Politischen Handlungsbedarf erkennt der Umweltrat u.a. bei biologischen Aerosolen, die insbesondere von biologischen Abfallbehandlungsanlagen an die Außenluft abgegeben werden. Hier sind größere Mindestabstände zu Siedlungen und eine strengere Emissionsbegrenzung erforderlich. Phthalate werden als Weichmacher in Kunstoffen verwendet. Einige dieser Stoffe haben zusätzlich zu den seit längerem bekannten toxischen auch hormonelle Wirkungen. Jüngste Studien haben Konzentrationen dieser Stoffe im menschlichen Blut oberhalb der Unbedenklichkeitsschwelle vorgefunden. Angesichts dieser Funde empfiehlt der Umweltrat prioritär besonders verwundbare und exponierte Gruppen wie Kinder durch ein Verbot von Phthalaten in Spielzeugen für Kleinkinder und in Lebensmittelverpackungen zu schützen. Langfristig sollten nachgewiesenermaßen schädliche Phthalatverbindungen durch weniger bedenkliche Stoffe ersetzt werden. Acrylamid gilt als kanzerogen. Die tägliche Aufnahme von Acrylamid liegt für die allgemeine Bevölkerung außerhalb des tolerierbaren Bereiches. Vorrangig sind Maßnahmen zu einer schonenden Herstellung und Zubereitung von Lebensmitteln. Keinen akuten umweltpolitischen Handlungsbedarf erkennt der Umweltrat
    in Bezug auf Edelmetalle aus Katalysatoren und die Multiple Chemikaliensensitivität. Allerdings sollten hier weitergehende Forschungsarbeiten gefördert werden.

  12. Handlungsfähigkeit der Umweltpolitik in Deutschland und Europa sichern

    In verschiedenen Politikfeldern, insbesondere im Bereich von Natur- und Gewässerschutz, stellt der Umweltrat gravierende Funktionsdefizite der
    deutschen Kompetenzordnung zwischen Bund und Ländern beim Vollzug europarechtlicher Anforderungen fest. Die Bemühungen diese Defizite
    durch verbesserte Koordination zwischen den Bundesländern zu beseitigen, sind aufwändig und oftmals nicht erfolgreich. Nach Auffassung des Umweltrates kann die deutsche Kompetenzordnung nur europatauglich werden, wenn der Bund im Bereich des Naturschutzes und des Gewäs-serschutzes die Kompetenz zur konkurrierenden Gesetzgebung erhält. Der Umweltrat warnt nachdrücklich davor, diese Bereiche – wie
    im Rahmen der aktuellen Föderalismusdiskussion erwogen wird – in die ausschließliche Zuständigkeit der Bundesländer zu verlagern. Dies
    würde einen effektiven und kohärenten Natur- und Gewässerschutz dauerhaft gefährden. Nach Auffassung des Umweltrates hat die EU die Verantwortung, den Europäischen Binnenmarkt umweltpolitisch zu flankieren. Sie sollte daher nicht nur mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet sein, sondern diese auch durch angemessene ökologische Mindestschutzstandards wahrnehmen. Darauf sollte weiter hingewirkt werden. Die Tendenz, dass Zuständigkeiten zunehmend aus dem Umweltministerrat, der Generaldirektion Umwelt oder dem Umweltausschuss des Europäischen Parlaments in Wirtschaftsressorts verlagert werden, lässt demgegenüber eine Schwächung der bisher recht erfolgreichen und dynamischen europäischen Umweltpolitik befürchten. Der Umweltrat warnt daher vor einer solchen Kompetenzverlagerung. Insbesondere bedeutet diese Verlagerung keine Integration im Sinne ganzheitlicher, nachhaltiger Politik, sondern vielmehr das Gegenteil, nämlich die Unterordnung der
    Umweltpolitik.

Das vollständige Gutachten ist ab Mittwoch, den 05. Mai 2004, im Internet unter http://www.umweltrat.de abrufbar.

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